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Harrison
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Published März 23, 2019

#Sonntagsgedanken zu #uploadfiltern und einem systemischen Generationenkampf … #profski

“Als ich heute Morgen so wachdöste“…so beginne ich gerne meine unregelmäßige Rubrik #Sonntagsgedanken… aber diesmal beschäftigen mich diese Gedanken schon seit Monaten bzw. Jahren und ich werde an einem Samstag damit fertig. Ein Samstag den 23.03.2019 an dem ich in Berlin und hoffentlich mit viele anderen in ganz Europa gegen die so genannte EU-Urheberrechtsreform demonstrieren werde… zum ersten Mal seit 27 Jahren gehe ich auf eine Demo, denn was da passiert ist meiner Meinung nach in mehrfacher Hinsicht epochal… für diejenigen, die sich nicht dauernd damit beschäftigen ist die Tragweite logischerweise nicht offensichtlich, deswegen hier mal paar Gedanken zu Einordnung und Anregung…

Dass ein Urheberrecht - das aus der Zeit stammt in der nur wenige Menschen Inhalte erstellen und über ein paar TV- und Radiosender, Druckerpressen und „Platten“ verbreiten konnten – nicht mehr zu einer Welt passt in der jeder die Infrastruktur eines Medienhauses in seinem Smartphone hat, dürfte jedem klar sein… die volkswirtschaftliche Rechtfertigung für den Schutz der wenigen Urheber war einmal, dass man diese Wenigen schützen musste, damit diese weiter Inhalte für die Vielen, die es nicht konnten erstellen – die Urheber bekommen Geld und die Gesellschaft also genug Kultur- und Informationsgüter, die sonst fehlen würden…

Allerdings haben sich im Massenkommunikationszeitalter vor allem die Verwerter, z.B. die großen Verlags- und Medienhäuser den Löwenanteil dieser Einnahmen für die Urheber gesichert. Sie waren die Gatekeeper ohne deren Infrastruktur ein Urheber meist nicht an Leser, Zuhörer oder Zuschauer kam… dafür trugen sie aber auch das Risiko für Druckkosten etc., die verloren waren, wenn das Werk kein Erfolg wurde… So war die Welt halt als die meisten von uns geboren wurden, deswegen hat es auch kaum einer in Frage gestellt…

Heute leben wir aber im Informationsüberfluss des digital vernetzten Zeitalters und ich erstelle und verbreite hier gerade Inhalte ohne ein Verlagshaus zu benötigen, mache dies auch ohne Geldzahlung dafür und andere reichern meine Gedanken vielleicht durch ihre Kommentare an… solche Co-Kreationsmöglichkeiten haben so wunderbare, neue Kulturphänomene wie Memes hervorgebracht, die täglich zu meiner Erheiterung im Newsstream meiner Sozialen Medien beitragen, in denen ich wie nie zuvor selbst entscheide, was mich dort erreicht (Ja, es gibt Algorithmen aber wenn ich jemanden blocke erreicht mich von dem nix mehr, in Zeitung, Radio und TV entscheiden ausschließlich andere, was ich sehe)…

…also Reform klar, das alte Gesetz passt nicht mehr… aber wir erleben mit der EU-Reform keine Anpassung an die neuen Möglichkeiten, sondern einen Versuch der Besitzstandswahrer der alten Verwerter über ihre Lobbyisten in der EU und Berlin das Neue einfach zu bekämpfen… Sie haben es selbst nicht geschafft ihre Rollen und Erlösmodelle an das digital vernetzte Zeitalter anzupassen und jetzt soll die Politik dabei helfen, was sie in den Augen ihrer Nutzer nicht geschafft haben… Die Rolle des Verwerters, der die Infrastruktur und Kundennähe herstellt haben schlichtweg die neuen Infrastrukturanbieter wie YouTube und Facebook übernommen und sind dabei offensichtlich in den Augen der Digital Natives beliebter als die früheren…

Bei diesem Restaurationsversuch werden alle medialen Karten gespielt, die man sich so ausdenken kann… Google und Co werden als die eindeutigen Feinde der Gesellschaft dargestellt, die den alten Verlagen die quasi göttlich zugeteilten Einnahmen „räuberisch“ wegnehmen. Da werden Szenarien aufgebaut, in denen YouTube und Facebook nur erfolgreich sind, weil sie diese ach so sensationellen Inhalte der klassischen Player stehlen und damit Milliarden verdienen… DEM müsste man Einhalt gebieten und das geht nur mit dieser Reform!... so die Reformer….Was für ein Blödsinn, klar kann man als Urheber heute schon seine Recht einklagen und Plattformen haften, wenn sie die Inhalte nicht runternehmen, wenn man es diesen anzeigt… und die meisten meiner bevorzugten Inhalte in meinem FB-Stream oder YouTube Kanäle sind von Nutzern erstellt… Filme schaue ich mir wann ich will bei Netflix an, Musik streame ich über Spotify. Für Paywall-Inhalte von Verlagen habe ich meiner Erinnerung nach noch  kein einziges Mal bezahlt, sie sind für mich einfach nicht gut genug, dass ich dafür bezahlen würde. 

Nochmal glasklar: Die Internetgiganten stellen jedem Nutzer die Infrastruktur bereit, die früher eben nur die Verlage hatten. Sie jagen den alten Verwertern etwas ab, weil sie sie ersetzten und diese sich nicht selbst ersetzt haben. Punkt. Das nennt man Strukturwandel… Da es aber nicht so gut klingt, wenn man sagt „wir haben uns nicht angepasst in unserer Funktion und das Internet bietet Urhebern heute bessere Möglichkeiten “, schiebt man doch lieber „die kleinen Urheber“ nach vorne, die es angeblich zu schützen gilt - klingt besser. Dieses Gesetz schützt aber nicht diese Urheber, sondern die Verwertereinnahmen. Die Pflicht zur üppigen Weitergabe an die Urheber fehlt in der Reform. 

Eindeutig drückte dies „Artcore Cosplay“ bei einer Demo in Köln aus: „Früher musste man sein kreatives Eigentum an eine große Firma verkaufen, um überhaupt einen Namen zu bekommen. Diesen Schritt konnten wir durch das Internet überspringen. Durch die Reform würden die Kreativen hingegen wieder in klassische Verwertungsstrukturen gezwungen.“ https://www.heise.de/newsticker/meldung/EU-Copyrightreform-Spontandemos-gegen-Artikel-13-und-Abstimmungs-Vorverlegung-Nie-mehr-CDU-4327090.html 

Damit „die Abgesagten“ irgendwie wenigstens etwas von den Einnahmen der angesagten Neuland-Eroberer abbekommen, muss man sie irgendwie dazu zwingen und nimmt dafür den Umweg über das Urheberrecht, indem man sie mit der Reform direkt zwingen will gar kein urheberrechtsgeschütztes Material hochzuladen. Bisher haftete derjenige, der das Material hochlädt und dies will man auf die Plattformen abwälzen und mit drakonischen Strafen belegen. Um diese Strafen zu vermeiden sollen die Plattformen mit praktisch jedem Urheber der Welt Lizenzvereinbarungen treffen… damit das nicht so utopisch klingt wie es ist, schrieb man ein paar Ausnahmen für nicht so große Plattformen rein. Damit ist auch klar, wer zahlen soll. Dass man damit hinter diesen Großen die Tür zu macht, z.B. für europäische Neulanderoberer -  wenn sie denn mal kämen - scheint allen egal zu sein. Damit nicht doch urhebergeschütztes Material hochgeladen wird gibt es keine andere Möglichkeit als dies automatisiert über teure Upload-Filter zu bewerkstelligen, die sich sowieso nur die großen Plattformen leisten können. Von den Befürwortern kamen aber tatsächlich so wirklich seltsame Hinweise, dass Uploadfilter doch gar nicht explizit im Gesetz stehen. Das ist formal richtig, es gibt aber schlichtweg keine andere Möglichkeit, um die Vorgabe des Gesetzes zu erfüllen. Wenn ich gesetzlich vorgebe 5 Km in 1 Minute zurückzulegen und nicht sage, wie sie das schaffen müssen, dann weiß auch jeder, dass dies zu Fuß nicht zu schaffen ist. Sie werden ein schnelles Gerät brauchen auch wenn es nicht im Gesetz steht. Auf eine Nachfrage im Bundestag gab dann auch die Bundesregierung zu, dass sie von Uploadfiltern ausgehe, wenn die Reform so kommt.

Da diese Filter aber nicht unterscheiden, ob etwas durch Zitatrecht oder Ausnahmen für Memes gedeckt wäre, ist die Gefahr mehr als real, dass eben vorsorglich alles rausgefiltert wird, was eine Urheberrechtsverletzung sein  KÖNNTE aber nicht ist, um Strafen zu vermeiden. Vom Urlaubsvideo bei dem ein urheberrechtlich geschütztes Stück zufällig im Radio im Hintergrund läuft bis hin zu Memes und Zitaten wäre alles betroffen. Um die alten Urheber zu schützen würde man also ganz nebenbei die Internetkultur der vernetzten Welt mit zerstören. Wenn man eine Maus im Keller erwischen will würde man wohl auch nicht das ganze Haus in die Luft sprengen – genau dies soll aber hier gemacht werden, die Kollateralschäden der Gesellschaft und für den Standort Europa wären verheerend. Ganz Weitsichtige befürchten darüber hinaus, dass Uploadfilter, sobald sie einmal da sind,  auch dazu genutzt werden können, oppositionelle Meinungen  herauszufiltern – ein gefundenes Fressen für alle Anti-Demokraten.

In den letzten Tagen gab es aufgrund der Demos und dem parteiübergreifenden Widerstand vieler „Digitaler“ in den Regierungsparteien unerwartete Wendungen, die man zwar begrüßen muss, aber nicht ausreichen. Innerhalb der CDU kam kurz vor Torschluss die Idee, dass man europaweit die Reform beschließen , dann aber durch spezielle Regelungen in Deutschland hinterher Uploadfilter wieder verhindern sollte. Sicherlich gut gemeint aber vom Ansatz her nicht ausreichend. Man darf diesen systemisch falschen Schwachsinn nicht für Europa machen! So einfach ist das. Schwachsinn bleibt Schwachsinn. Und ob dann nicht doch hinterher diese Initiative tatsächlich verhindert würde ist auch nicht garantiert.

Da die treibende Kraft in der EU der „Berichterstatter“ und CDU-Mann Axel Voss ist, bekam zunächst die CDU den Hauptteil des Grolls der Gegner ab. Dann traf dies irgendwann auch die SPD, die sich jetzt auch in letzter Sekunde gegen die Upload-Filter stellt. Letztendlich eine genauso halbherzige Wende, denn die SPD hätte sich nur auf den Koalitionsvertrag berufen müssen, der eindeutig Uploadfilter als unverhältnismäßig ablehnt. Stattdessen hatte die SPD Spitzenkandidatin für die Europawahl und Justizministerin die Chance nicht genutzt und die Reform durchgewunken als sie in den EU-Gremien hätte dagegen stimmen können. Aus der ganzen Sache ein Schießen nur auf eine der beiden Regierungsparteien zu machen ist grundsätzlich falsch, weil es von der ganzheitlichen Verantwortung ablenkt und die Kraft der Gegner schwächt – und hier geht es um mehr, deutlich mehr, hier passiert eine Zeitenwende. Warum?

Durch alle Parteien genauso wie in der ganzen Gesellschaft geht es um den Kampf der Generation Social Media um ihre Möglichkeiten und Ihre Zukunft gegen eine historisch gewachsen Verflechtung aus Politik und alten Medienhäusern. Die unrühmlichste Rolle spielen die klassischen Verwerter, die simpel ihre Pfründe mithilfe üblicher Hinterzimmerpolitik verteidigen wollen und das Thema am liebsten öffentlich totgeschwiegen hätten. Polit-ökonomisch ist auch leicht nachvollziehbar, warum Politiker auf Seiten der Besitzstandswahrer stehen: am Ende gibt es keine europäischen Digital-Champions, die in einer repräsentativen Demokratie wie der unseren wirklich bereits entscheidenden Einfluss hätten. Klar machen die auch hier Lobbypolitik aber sie zahlen hier kaum Steuern, stellen hier zu wenig Arbeitsplätze und haben zumindest bei der Mehrheit der Bevölkerung noch nicht so viel mediale Macht als dass Politiker sich auf deren Seite schlagen würden. Die klassischen Medien haben zwar enorm an Macht eingebüßt, sind aber für Politiker und die Mehrheit der alten Bevölkerung, die die Mehrheit stellt, immer noch Ansprechpartner Nummer 1 – welcher Politiker möchte sich schon dagegen stellen? Hinzu kommt, dass vor allem die großen Parteien über Beteiligungen an Verlagshäusern und die Besetzung der Gremien der Öffentlich-Rechtlichen ebenfalls ein Interesse haben, das alte Systemgeflecht zwischen alten Medien und Politik zu stützen.

Im Gegensatz dazu sind die Urheber und Nutzer in der Generation der Digital Natives mit den Systemen von YouTube, Facebook und Co groß geworden und werden nicht mit 30 wieder zum Lesen der Tageszeitung und ZDF schauen wechseln. Sie sind aber demografisch in der Minderheit und deswegen für Spitzenpolitiker weniger interessant – noch! Für Letztere ist es schlichtweg noch nicht opportun, sich auf die Seite der vernetzten Gesellschaft und damit der Zukunft zu stellen und genau das ist ein systemisches Problem. Da diese Generation aber über soziale Medien und ihre Influencer bessere Möglichkeiten als jede Generation zuvor hat, sich zu organisieren und auf der Straße und im Netz an den klassischen Medien vorbei Druck aufzubauen, nähern wir uns aber vielleicht doch einer Zeitenwende. Es brauchte vielleicht den Anlass der Urheberrechtsreform, diese Wende zu beschleunigen. Die Unbeholfenheit und offensichtlich fehlende Sachkenntnis vieler Verantwortlicher der Reform spielen dabei als  Brandbeschleuniger in die Hände der Reformgegner. Besonders hart bekommt dies gerade Axel Voss ab. Irgendwo auch zurecht, da er ziemlich uneinsichtig ist aber mir persönlich gehen diese Angriffe auf ihn als Person zu weit. Im letzten Herbst habe ich mit ihm in einem Streitgespräch vor recht wenigen Zuhörern vor Ort in Köln und einem wohl kaum gesehenen Livestream auf n-tv auf einem Podium gesessen und sachlich diskutiert. Er war äußerst höflich im Umgang und hat diese Anfeindungen als Person damit nicht verdient. In der Sache liegt er aber leider eben vollkommen falsch, da er krampfhaft versucht mit alten Regeln neue Welten zu beglücken, das funktioniert nicht und schadet nur. 

Um Axel Voss  zu verstehen aber gleichzeitig die Tragik des ganzen systemischen Versagens zu verdeutlichen, seien zwei Punkte aus der damaligen Diskussion hervorgehoben, die mich bewegt haben. Herr Voss räumte mir gegenüber ein, dass da Vieles irgendwie nicht passen und er selbst wäre auch dabei gewesen wäre, wenn man das ganze Urheberrecht hinterfragt hätte. Dies wäre aber eben nicht sein Auftrag als EU-Berichterstatter gewesen. „Befehl ist Befehl“ ging mir da nur durch den Kopf. Der Mann ist also eigentlich nett, intelligent und bestimmt auch ein guter Jurist, aber er verfolgt seine Rolle, die man anders hätte definieren sollen. Wirklich schockierend fand ich allerdings die Antwort auf meine Frage, ob sich bei der ganzen Reform irgendjemand die Frage gestellt habe, welche Auswirkungen dies auf den Standort Europa haben würde. Ein klares „Nein“ war die Antwort, das wäre hier nicht die Frage und nicht seine Rolle gewesen. Als ich nachfragte, wer dies hätte tun sollen oder welche EU-Institution oder welche nationale Regierung sich denn solche ganzheitlichen Gedanken machen würde kam die Antwort, dass er dies auch so nicht sagen könnte. Und DAS ist für mich das Tragische an der ganzen Entwicklung nicht nur um die Urheberrechtsreform. Dies betrifft unzählige andere Regelungen von DSGVO bis E-Privacy, die in dem Kontinent, der von den großen Playern bisher der mit Abstand unerfolgreichste ist, digitale Champions hervorzubringen. 

Anstatt uns zuallererst die Frage zu stellen, wie wir Rahmenbedingungen setzen können, in denen sich Champions des digital vernetzten Zeitalters entwickeln, gehen wir hin und lassen die Besitzstandswahrer Mauern hochziehen. Mich erinnert es immer wieder daran, wie die französische Revolution in den Jahren nach 1789 das ganze alte Europa nachhaltig veränderte, aber die restaurativen Kräfte auf dem Wiener Kongress versuchten, die alten Verhältnisse nach Napoleons Niederlage 1815 wiederherzustellen. Damals war die schillernde Figur Fürst Metternich auf dem Wiener Kongress, heute ist es Axel Voss auf dem Brüsseler Kongress für die analoge Restauration. Und genauso wie damals hält uns dieser Versuch einfach nur auf…

#Sonntagsgedanken… heute aber eben Samstag, deswegen gehe ich zur Demo…#profski